The Big One
Berlinale-Zeit ist immer auch Meckern-über-zuviele-Amerikaner-im-Wettbewerb-Zeit. Diesmal etwas stiller, vielleicht wird ja erstmal geschaut, ob die "Amerikaner" so hollywoodiotisch wie üblich sind. Auf jeden Fall bietet das Forum ein rasch wirksames Gegengift zu den ekelhaft verlogenen Glanzwelt der Reichen, Schönen und Erfolgreichen, bei denen selbst ein Sozialdrama immer noch wie Traumurlaub wirkt: Michael Moore hat wieder zugeschlagen. Nachdem der damals Arbeitslose in "Roger and Me" den Chef von General Motors ins Visier nahm und die brutalen Entlassungen in seiner Heimatstadt Flint anprangerte, machte Moore jetzt einen Rundumschlag durch die USA.In dem Bestseller "Downsize This" konfrontierte Moore die Chefs äußerst erfolgreicher Unternehmungen mit dem Paradox äußerst umfangreicher Entlassungen in äußerst rentablen Produktionsstätten. Eine Vortragsreise wandelte der ebenso clevere wie schwergewichtige Kämpfer raffiniert - und ohne Wissen des Verlages - zu Dreharbeiten für "The Big One" um. Und fast jeder der 48 Orte bietet eine unglaubliche Geschichte aus dem Erfolgsbuch des Kapitalismus: Die Fabrik für Schokoriegel namens "Payday" (Zahltag!!!) in Centralis, Illinois schließt, weil sich das Werk dank besonders großer Produktivität sehr schnell rentiert hat. Ein anderer Konzern verlegt die Produktion nach Mexiko, dort liegen die Minimum-Löhne noch tiefer als in den USA. Von den 5 Dollar werden allerdings noch Sozialbeiträge abgezogen, auch wenn die "Krankenkasse" gar keine Ärzte im Wohnort der Arbeiter anbietet. Die Leitung eines Buchladens verbietet ihren Angestellten, an der Lesung Moores teilzunehmen, dieses Arbeiterpack hatte neben ihren zwei Jobs doch tatsächlich noch Zeit, über die Gründung einer Gewerkschaft nachzudenken!
Dieser Querschnitt durch die soziale Situation des ja ach so erfolgreichen Wirtschaftslandes USA wäre furchtbar deprimierend, wenn Moore nicht seine sarkastischen Showeinlagen zwischenschneiden würde. Mit bissigem Zynismus macht er Vorschläge für die Umbenennung der USA: "The Big One" wäre doch viel beeindruckender als "Vereinigte Staaten von Amerika". Großbritannien hätte sich ja auch nicht "Einige Provinzen auf einer Insel" genannt. Moore enttarnt Außerirdische in der Politik und schlußfolgert, wenn es nur um den Profit ginge, solle GM doch Crack verkaufen! "The Big One" ist nervig unscharf im Bild und ungeheuer spitz im Denken. So macht dieser witzige und ungemein engagierte Mensch Mut, fragt frech nach, bohrt und kämpft immer wieder um Arbeitsplätze. Sein Ansatz bleibt zwar national, aber immerhin mal ein Ansatz (der auch noch richtig Spaß macht)!
Günter H. Jekubzik
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