Vor dem Regen

GB/Fr/Mazedonien 1994 (Before the rain) Regie: Milcho Manchevski, 115 Min.

Von Günter H. Jekubzik

Nach Monaten des Wartens und Taktierens beim Filmverleih kommt mit "Vor dem Regen" endlich einer der bewegendsten Filme zum brennenden und blutigen Wahnsinn der "Jugoslawienkriege" ins Kino. Die "Erzählung in drei Teilen" erhielt den Goldenen Löwe beim Filmfestival von Venedig 1994 und verbindet kunstvoll sich tödlich verstrickende Lebensstränge mehrerer Figuren.Das Mädchen Zamira findet bei einem jungen Mönch in einem orthodoxen Kloster Mazedoniens heimlich Unterschlupf. Der mit einem Schweigegelübte lebende Kiril muß daraufhin das Kloster verlassen und landet mit Zamira zwischen den Fronten eines ethnischen Krieges. In die selige Abgeschiedenheit der Mönche dringt Gewalt ein: Albanische Moslems und mazedonische Christen verständigen sich nur mit den Waffen, das muß tödlich enden, wenn jeder jähzornige Idiot ein Maschinengewehr in der Hand hat. Selbst Kinder spielen grausamen Krieg, können töten, bevor sie die Waffe beherrschen.Der Regen droht immer als Metapher für den heraufziehenden Gewaltausbruch. Ist der Krieg die Natur des Menschen, ist Frieden tatsächlich nur die seltene Ausnahme? Auf jeden Fall läßt sich nicht sagen, der Krieg findet nur irgendwo dort unten statt. Manchevski setzt ihn mitten in Londons behütetster Gesellschaft blutig fort, ein Amokläufer hinterläßt in einem Nobelrestaurant ein Blutbad.Manchevski verfolgt in London den Kriegsberichterstatter Aleksandr, für dessen Kamera ein Mensch erschossen wurde. Seine Rolle streift die Funktion der Medien in den Kriegen, auch angesichts seines toten Vetters zuckt der Auslösefinger automatisch, ganz ohne Kamera. Aleksandr vergiftet sich zuerst mit Zigaretten, bevor er innerlich zerrissen in sein mazedonisches Heimatdorf zurückkehrt und dort in einer symbolischen Tat Position bezieht.Der bisherige Werbe- und Musik-Filmer Manchevski - ein in Bosnien geborener Amerikaner - findet zum unerträglichen Thema wunderbare Bilder und Landschaften, arbeitet mit einer Tiefe des Bildes, die an Tarkowskij erinnert. Der Folk-Pop der Gruppe Anastasia verstärkt den gewaltigen Eindruck musikalisch. Ebenso wie das unaufhaltsame Morden schockiert, fesselt die Form: In drei Teilen überschneiden und ergänzen sich die Geschichten. Am Ende erfüllt sich das Wort des weisen Mönches: "Die Zeit stirbt nie. Der Kreis ist nicht rund." Da steht der Film wieder an seinem Anfang, doch der Regen fällt bereits, keiner hat eine Chance, dem Grauen der Kriege zu entkommen. Selbst der junge Mönch wird, wenn er nach London kommt und wie sein Onkel Aleksandr als Fotograf Erfolg hat, eines Tages seinem Rückweg in die Heimat folgen.


Eine Kritik vonGünter H.Jekubzik

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