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Die Hymne

Can(nes)-Can

Festival-Notizen

Von Günter H. Jekubzik

Unter den tausenden Plakaten neuer, bald fertiger oder nur geplanter Filme auf dem Festivaljahrmarkt der vorher und nachher Cannes heißt, verschafft sich Eines ganz markant Aufmerksamkeit: Aus dem Dunkeln hält ein nur schemenhaft erkennbarer Herr dem Betrachter den Griff einer Pistole entgegen: "Jede Gesellschaft wählt sich die Waffen, die sie verdient," lautet der einzige Text. In Cannes wird beim 50. besonders deutlich, daß wir uns die Unterhaltung als Medium erwählt haben. Solch ein Overkill an Angeboten, Werbung, Attraktionen, Veranstaltungen, Bildern und Tönen kann nicht gesund sein. Und bei diesem Bilderkrieg sind die Filme noch gar nicht mitgemeint!

Womit habe ich das verdient?

Wer allerdings einmal versucht, aus dem Strom von 2000 frisch empörten, gerührten, begeisterten, erzürnten Zuschauern auszuscheren, die auf der Woge ihrer Emotionen zur Pressekonferenz strömen, weiß daß Widerstand zwecklos ist. Da hilft nur ein: Lustvoll die Waffe des audiovisuellen Overkills ergreifen, die Sinne im gigantischen Festi-wahn untergehen lassen und vielleicht ab und zu Ruhe in einem Film finden.

Denn im Vergleich zu dem megamanischen Jahrmarkt vor den Kinotüren wirkt selbst "Das fünfte Element" extrem beschaulich. Eine total genial-beknackt-überdrehte Mischung aus "Blade Runner" und "Brazil", "Star Wars" und "12 Monkeys", "IP 5" und "ID4". Bruce Willis' fliegendes Taxi im Autoscooter-Design ziert zerschossen die Strandpromenade, die Croisette. Dagegen steht das Plakat zum neuen James Bond einsam am Ende eines Piers vor der recht leeren Weite des Mittelmeeres. Hier wird wohl noch demnächst eine entsprechend große Jacht auftauchen.

Nebenan wieder eine dieser mit Lichterketten dekorierten Palmen! Wozu braucht es denaturalisierte Palmen? Weshalb ist jeder Quadratmeter Strand überbaut mit irgendwelchen Showzelten, Werbepavillions oder Aktions-Cafés? Selbst die Jungens der französischen Polizei, die bei der allabendlichen Treppenshow der Star immer am Rande des roten Teppichs stehen, haben hier ihre Ausstellung: Der Polizist im französischen Film! Da kamen Zweifel auf, ob nicht vielleicht Inspektor Clouseau oder Luis de Funes selbst die ganze Sache als großen Scherz inszeniert haben.

Auf der Landseite der Promenade stehen wieder ein paar hundert Menschen vor einem Hotel. Welcher Star ist es diesmal? Bruce Willis, der auch noch kurz ein Konzert gab in der Filiale seiner (und Schwarzeneggers und Stallones) Burgerkette "Planet Hollywood". Oder "nur" Gary Oldman, der nicht nur in "Das fünfte Element" einen zukünftigen Hitler-Verschnitt gibt, sondern auch mit dem schockenden britischen Soziodrama "Nil by Mouth" als überraschender Regisseur debütierte? Nein, die kreischenden Mädels (dieses Geräusch eint Teenager aller Länder) lassen erkennen: Michael Jackson scheint am Fenster "I love you all" gepiepst zu haben. Er besucht nicht seinen Konzert-Promoter im Gefängnis von Cannes, nein: Stan Winston, seines Zeichens einer der renommiertesten Tricktechniker der letzten Filmjahrzehnte (zuletzt "Das Relikt"), hat ... nein: er hat nicht probiert mit Filmtrick die Nase von Jackson wieder hinzukriegen. Winston stellt in Cannes den vierzigminüten "Ghosts" vor, eine Art langes Video über ein verhextes Haus. Jackson hüpft in ihm herum und Stephen King schrieb an der Story mit - der vom Film, nicht von Jackson!

Passend zum Filmtitel des neuen Abel Ferrara "The Blackout" fiel jemand aus der Warteschlange in Ohnmacht. (Hier sind nämlich nicht nur die Straßen übervoll, auch die Kinos geben dem Film die Ehre!) War das jetzt ein weiterer Publicity-Stunt oder der Schock darüber, daß Claudia Schiffer mitspielt und direkt hinter den richtigen Schauspielern Matthew Modine und Dennis Hopper genannt wird! Dialogauszug zur ihrer Rolle als Susan: "Sie wird nicht high, sie trinkt nicht, sie ..., sie ist wie ein Bioladen." Hoffentlich spricht sie auch nicht!

Sie bleibt also bislang ungeklärt, die Frage, wo es verrückter zugeht: Im Kino oder "draußen" auf der Festival-Kirmes.


Eine Kritik von Günter H. Jekubzik

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